Sie sind medienaffin, perfekt vernetzt und de facto nie offline. Digital Natives sind, wie es so schön heißt, mit dem Internet groß geworden. Wer der 23. Präsident der USA war? Wie stark das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland im Verlauf der letzten 5 Jahre gestiegen ist? Digital Natives haben das nur selten im Kopf, aber immer im Smartphone. Sie jonglieren mit verschiedenen mobilen Endgeräten, üben vor allem kreative und medienzentrierte Berufe aus – und sie sind überlastet.
Digitale Informationsüberlastung
Nicht alle, nicht jederzeit. Aber die Tendenz steigt. Schließlich sind die Anforderungen der modernen Arbeitswelt hoch: Sei erreichbar, jederzeit. Reagiere schnell und empathisch auf Statusmeldungen, Erwähnungen, Verlinkungen. Urlaub, Wochenende – für den Digital Native verschwimmt das schnell zur regulären Arbeitszeit. Die Grenzen zwischen Job und Privatleben sind fließend, Work-Life-Balance als Konzept ist überholt. Denn wer seinen Job wirklich liebt, will kaum Erholung oder Pausen. Macht schließlich Spaß, wie kann das Arbeit sein?
Das ist wunderbar – in vielen Bereichen. Und es verhindert das Abschalten, Loslassen und Entspannen. Durchschnittlich alle 18 Minuten nimmt der normale Smartphone-Nutzer eben jenes zur Hand. Studien-Initiator Alexander Markowetz bemängelt den digitalen Dauerstress, der sich dadurch ergibt. Dazu kommt der fragmentierte Alltag. Vom Job zum Smartphone zum Job und wieder von vorn. Dazwischen auf dem Tablet eingehende News und Statusmeldungen prüfen, den Kalender aktualisieren, Präsentationen präzisieren. Webseiten aktuell halten, notwendige Informationen und rechtliche Änderungen mit verfolgen.
Selbst die klassische Unterrichtsstunde in der Schule fordert längere Aufmerksamkeitsspannen. Alle 18 Minuten raus aus der Arbeit und rein in eine andere Tätigkeit? Dieser Wechsel überfordert das menschliche Gehirn. Fokussierung und Vertiefung in eine konkrete Aufgabe? Unmöglich. Permanente Unterbrechungen trüben zusätzlich die Erinnerungsleistung. Statt sich einfache Daten, Fakten und Quellen zu merken, wird gegoogelt.
Von der passenden U-Bahn-Verbindung in der eigenen Stadt bis zum Zweitbüro der Firma. In der Scientific American sprechen Wegner und Ward vom „external hard drive“ Google – für unser Gehirn. Wir lagern Speicherplatz aus. Und müssen, wenn wir auf diese Informationen zugreifen wollen, Arbeitsschritte unterbrechen, um zu googlen.
Nebulöse Jobs und Aufgaben
Für die Generation der Digital Natives ist Arbeit schlicht digital. Ein Zusammenspiel aus E-Mail, Webseiten, sozialen Netzwerken und digitalen Tools, die die Aufgaben verwalten, tracken, sortieren, automatisieren. Das bedeutet Abhängigkeit von digitalen Strukturen. Und die ändern sich – ständig, über Nacht. Ein Beispiel: Da variiert Facebook den Newsfeed und zig Social Media Manager, PR-Fachleute und SEO-Experten sitzen vor völlig neuen Anforderungen.
Umsatzzahlen brechen ein und Marketing-Strategien werden sinnlos. Im Grunde genommen: alles auf Anfang. Und damit kaum greifbar, im Wortsinn. Die Generation 60+ beginnt gerade erst zu erkennen, was ihre Kinder und Enkelkinder da tagtäglich leisten. Wie viel Arbeit in einer digitalen Kommunikationsstruktur steckt oder warum es Programmierer braucht, damit der Fernverkehr reibungslos läuft.
Noch ein weiterer Punkt vereint die Digital Natives: Sie lieben ihre Jobs, solange sie sinnstiftend sind. Geld? Dickes Auto? Langer Urlaub bei voller Bezahlung? Ist nicht unbedingt notwendig, um einen digital Native zu halten. Viel wichtiger: Ihm das Gefühl zu vermitteln, dass seine Aufgabe wichtig ist, einen gesellschaftlichen Beitrag erbringt. Verliert der Job seinen Sinn, stürzt das den Digital Native in die Krise. Genau wie tagtäglich gegen analoge Arbeitsstrukturen und feste nine-to-five Routinen ankämpfen zu müssen.
Wege aus der Sinnkrise
Es klingt so einfach: abschalten, offline gehen. Dabei leben Digital Natives online. „Einfach abschalten“ ist schwer. Und muss erlernt werden.
Strategien aus der Überlastung:
- Feste Zeitpläne für die Mailbearbeitung aufstellen – und einhalten: Wie Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie: Er bearbeitet Mails zwei- bis dreimal pro Tag. Außerhalb der festen Zeitfenster ist sein Mailprogramm geschlossen.
- Morgens E-Mails und sonstige Nachrichten ignorieren: Das ist für den Informationsjunkie richtig schwer. Aber wer morgens schon auf den Informationszug aufsteigt, verlässt ihn bis zum Schlafengehen nicht mehr. Also: Mailprogramm und Chatfenster so lange wie möglich geschlossen halten.
- Umgang mit Abwesenheitsnotizen und Urlaubsmeldungen klären: Einige Unternehmen verbieten die Bearbeitung von E-Mails im Urlaub. Andere schalten ab 21:00 Uhr die Mailserver ab. Und ein paar schlagen das Löschen von E-Mails vor. Schließlich komme alles Wichtige noch mal.
Diese drei grundlegenden Strategien nehmen den ersten Druck aus der Überlastung. Denn wenn nach dem Urlaub keine 400 E-Mails warten, wird der nächste Urlaub entspannter. Schon deshalb, weil zur E-Mail-Verhinderung nicht direkt im Urlaub weiter gearbeitet wird.
Nach der strategischen Entlastung ist Feintuning angesagt:
- Reduktion: Müssen es die 20 News-Seiten im Feedreader sein? Und braucht es wirklich von allen 350 Facebook-Freunden sämtliche News auf der eigenen Timeline? Reduktion bedeutet: Abbestellen, Benachrichtigungen ausblenden, Dämme gegen die Informationsflut errichten.
- Fokussieren: Macht die Kontrolle des Posteingangs Sinn, wenn man doch gerade an einer anderen Aufgabe arbeitet? Fokussierung bedeutet: Bei der Aufgabe bleiben, keine Unterbrechung dulden. Zusätzliche Bildschirme ausschalten, Handy und Tablet beiseite packen.
Dann ist da noch die Sache mit der Sinnstiftung. An der arbeiten Digital Natives vorzugsweise dann, wenn sie nicht völlig überlastet sind.
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