Ist das Fremdgehen ein Resultat einer Gesellschaft, die sich davor scheut, sich zu entwickeln? Diese Meinung teilen zumindest zahlreiche Experten, die Monogamie als veraltet ansehen. Für die meisten Menschen ist und bleibt das Fremdgehen ein Albtraum. Sie können sich nicht vorstellen, in einer glücklichen Beziehung fremdzugehen beziehungsweise betrogen zu werden.
Fremdgehen: Was ist es und wo fängt es an?
Bevor man sich der Frage annähern kann, ob man das Fremdgehen verzeihen kann, muss geklärt werden, was es genau ist beziehungsweise wann es anfängt. Und genau hier stößt man auf das erste Problem: Das Fremdgehen hat keine allgemeingültige Definition. Für einige Menschen ist das simple Anschauen eines Pornos Fremdgehen, für andere das Flirten. Andere sind toleranter und bezeichnen nur ein sexuelles Verhältnis als Fremdgehen. Doch das Problem mit der Definition macht die Frage, ob man Fremdgehen verzeihen soll, umso schwerer.
Gehen wir zunächst auf das typische Szenario ein: Es kommt zum Seitensprung und das Paar klärt, ob die Beziehung weitergeführt oder beendet wird. In einem Gespräch klären die beiden, wann, warum und wie es zum Seitensprung kam. Gründe für den Seitensprung gibt es viele und sie sind meist auch äußerst vielfältig. Doch nur selten denkt das klassische Paar darüber nach, ob es vielleicht nicht für eine Beziehung geschaffen ist. Immer mehr Experten und Autoren sind nämlich der Ansicht, dass Monogamie nichts für moderne Menschen ist.
Monogamie – nichts weiter als ein Auslaufmodell?
Ein häufig gelesenes Buch aus den USA behauptet, dass Frauen von Natur aus promisk und in ihren Beziehungen deshalb häufig unzufrieden sind. Dabei wünschen sich deutsche Frauen Monogamie. Sie geben an, in einer Partnerschaft viel Wert auf Treue zu legen. Traut man dem zuvor genannten Buch, sollen die Damen das primiskere Geschlecht der beiden sein. In dem Buch „Die versteckte Lust der Frauen“ beschreibt Autor Daniel Bergner die Frau als schnell von ihren Sexpartnern angeödet und willkürlich bei der Partnerwahl. Das einzige was der Durchschnittsfrau und ihrem Wunsch nach ständig wechselnden Partnern im Weg stehe, sei die kulturelle Prägung und ihre Erziehung. Ihr Körper spüre einen Drang nach einem Wechsel, doch der Kopf möchte davon nichts wissen.
Das weibliche Verlangen in seinem ganzen Ausmaß und seiner Gewalt ist eine unterschätzte, nicht entfesselte Kraft – selbst heute noch, in einer Zeit, in der Sex so allgegenwärtig und ohne Tabus zu sein scheint.
Buchautor Oliver Schott geht sogar noch weiter und vertritt die Meinung, dass Monogamie ein Auslaufmodell sei. Im Gegensatz zu Daniel Bergner beschränkt sich Oliver Schott jedoch nicht auf Frauen, sondern auf die gesamte Monogamie. Fehlender Sex, die Angst, etwas zu verpassen oder Langeweile – [etweet]Es gibt viele Gründe, warum man fremdgehen könnte.[/etweet] Im zuvor genannten Artikel bezeichnen Experten Monogamie als überholt und das Fremdgehen als eine Folge der unzeitgemäßen Treuevorstellung, die in der heutigen Gesellschaft nicht mehr aktuell ist. Auch andere Buchautoren sind der Meinung, dass unser Verstand treue möchte, unser Herz sich aber nach Liebe sehnt – diese möchten wir aber nicht für immer nur einer Person schenken. Holger Lendt & Lisa Fischbach sehen im Fremdgehen einen Ausweg, etwas zu finden, was in der Hauptbeziehung fehlt. Auch Wolfgang Krüger ist sich sicher, dass sich Seitensprünge dann ereignen, wenn es in der Kernbeziehung Probleme gibt.
Umerziehungsmaßnahmen der Frauen
Glaubt man Bergners Überlegungen, dann leben unzählige Frauen rund um den Globus monogam, obwohl sie keine Lust mehr haben, mit ihrem Langzeitpartner eine sexuelle Beziehung zu führen. Frust ist somit vorprogrammiert. Sexarme Beziehungen sind ein gesellschaftliches Tabu, schließlich entsprechen sie nicht dem lustbetonten Leben. Leider sind auch die großen Vorbilder keine Hilfe: Hollywood und Co. machen der Gesellschaft vor, dass auf jeden Menschen die große Liebe wartet. Selten ist die Rede von Zurückweisungen, Schuldgefühlen und Missverständnissen.
Interessanterweise sind monogame Gesellschaftsmodelle in der Minderheit, wenn man sie weltweit betrachtet: Der Atlas der Weltkulturen bringt es auf stolze 560 Gesellschaftsformen, nur 17 davon bestehen auf die Zweiernummer. In einer westlichen Provinz Chinas können Frauen die Brüder ihres Mannes gleich mitheiraten. Frauen sind heute ohnehin in der Lage, ihr Leben selbst zu bestimmen. In der westlichen Welt zumindest sind die Damen längst nicht mehr auf einen starken Mann angewiesen.
Ob sich an der Lage in absehbarer Zeit ändern wird, ist schwer zu sagen. Es gibt Dinge, die wichtiger als Sex und Lust sind. Die Fortpflanzung wäre sichtlich schwierig, wenn die Mutter alle paar Jahre den Partner wechselt. Doch der Frau kann man die gesamte Schuld nicht zuschieben. Auch Männer wurden Jahrhunderten zur Monogamie gezwungen, obwohl alles dagegen spricht.
Es ist ein Irrtum Männer zur Monogamie zu verdammen
[etweet]Laut Dan Savage, Amerikas bekanntester Sex-Kolumnist, ist die Ehe ein Beziehungskiller.[/etweet] Seiner Meinung nach war es „ein Fehler, Männer zur Monogamie zu verdammen.“ Männer hatten schon immer Geliebte und Konkubinen. Nicht nur Adelige und Könige, sondern auch die Herren in der unteren Schicht. Statt die Frauen mit den Männern gleichzustellen, hat man den Herren der Schöpfung Beschränkungen auferlegt. Nämlich genau dieselben, die Frauen seit Anbeginn der Zeit erdulden müssen.
Seit dem Bürgertum hat sich das weibliche sexuelle Selbstverständnis gewandelt. Die weibliche Lust ist längst kein Tabuthema mehr. Dennoch fällt es Frauen schwer, sie mit dem der Männer auf eine Ebene zu stellen. Noch schwerer fällt es ihren Partnern: Gerade die Männer, die glauben, sie seien die Einzigen, die mit Monogamie zu kämpfen haben, müssen umdenken. Immer mehr Frauen neigen dazu, ihre Lust neu auszuleben – und diese Art ähnelt der der Männer. Ein Blick auf den Twitter-Account des Pornodarstellers James Deen zeigt, dass ihm unzählige Frauen folgen. Sie wollen sich nicht nur emanzipiert fühlen, sondern auch Fotos sehen – so wie die Herren ihre Filmchen anschauen.
Ist die Monogamie eine Evolution unserer Kultur?
Evolutionsbiologen können sich nicht darüber einigen, ob es Monogamie überhaupt gibt, sie natürlich ist, oder schlichtweg von unserer Gesellschaft zu einem beliebigen Zeitpunkt erfunden wurde, weil sie die gesamte Situation, Stichwort Fortpflanzung, vereinfacht. Wenn wir einen Blick auf die Tierwelt werfen, stellen wir fest, dass es kaum monogame Beziehungen gibt. Selbst bei Vögeln, die bekanntlich sehr treu sind, fand man Kuckuckskinder, welche von einem fremden Männchen erzogen wurden. Fakt ist, dass praktisch alle männlichen Säugetiere unzählige kleine Spermien produzieren, die Weiblichen dagegen nur wenige, große Eizellen. Die Weibchen tragen die Nachkommen aus, und versorgen sie, bis sie auf den eigenen Beinen stehen. Aufgabe der Männchen ist es, für den Arterhalt zu sorgen – mit welchem Weibchen auch immer.
[etweet]Ob und wie sich der Mensch vom Tier unterscheidet, ist ein Streitpunkt unter Experten.[/etweet] Sie können nicht belegen, ob Tiere über ein Bewusstsein verfügen. Menschen haben definitiv eines, folglich hat jede Handlung einen Einfluss auf die Nächste. Menschen wünschen sich Liebe und Lust, doch die Gesellschaft zwingt sie, diese mit nur einer Person zu teilen. Dabei sind wir zu einem Zeitpunkt angekommen, bei dem wir Geschlechtskrankheiten mit Verhütungsmitteln vermeiden und eine gewisse Eigenverantwortung besitzen. Paare sollten sich also selbst fragen dürfen, ob sie ihre körperliche Treue leben und verzeihen möchten oder nicht. Bis es so weit ist, müssen wir uns nicht wundern, wenn es nach einer langjährigen Partnerschaft zu einer plötzlichen Trennung kommt. Viel mehr müssen wir uns in solchen Fällen die Frage stellen, warum man der Beziehung nicht schon früher ein Ende gesetzt hat.
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sunrose meint
Krasse Behauptung von dem Autor. Scheint mir jenseits der Realität. Frauen sind die, die wesentlich weniger sexuell bestimmt sind als Männer. Ich denke, bei diesem Thema kann man nichts verallgemeinern. Bei den meisten liegt in einer Beziehung schon mal keine echte Liebe, sondern irgendwelche Bedürftigkeiten und Erwartungen vor; wenn diese nicht erfüllt werden, sucht man sich schnell jemand anderen. In guten und tiefen Beziehungen gibt es keine Frage nach Seitensprüngen, denn sie sind überflüssig.